Altösterreichischer Orgelbau
gestern und heute

Peter Maria Kraus



Der inneralpin - altösterreichische Raum – eine Orgellandschaft?


Klangidentität einer Landschaft, einer Bevölkerung, einer Mentalität

Will man das Wesen und die Aufgabe einer Orgellandschaft verstehen, muß man sich mit der Mentalität der Bewohner sowie der kirchlichen und liturgischen Umgebung beschäftigen.
Nur so läßt sich erkennen, warum etwa die Orgellandschaft der Waterkant so grundverschieden vom mitteldeutschen oder unserem südlicherem Raum ist!

Was ist eine Orgellandschaft, wie entsteht sie?

Das ist regional sehr unterschiedlich: Im Norden prägten vom Frühbarock bis in den Klassizismus sogar die Instrumentenformen die Landschaft (Hamburger Prospekt), die Meister bewegten sich innerhalb gewisser Vorgaben und Rahmen.
Im mittel- und süddeutschen Raum existierten kaum besondere Standardformen, es prägten mehr die Meister die Orgellandschaft. Die Instrumente der Mitglieder der Familie Silbermann sind da sicherlich das beste Beispiel. Aber auch bei diesen ist durch die Verwandtschaft und die Vorbildwirkung ein gewisse Schule zu erkennen.
Im italienischen Orgelbau existierte die klassisch - schlichte einmanualige Ursprungsform der Orgel. Die Unterschiede der einzelnen Instrumente liegen einerseits im Detail, andererseits in den Erweiterungen durch die (in Italien sehr langsam) fortlaufende Entwicklung in Hinsicht auf den Kulturaustausch der Regionen Europas.
Im altösterreichischen Raum, analog dem individuelleren Wesen seiner Bewohner und seiner vielen, oft grundverschiedenen Völker, entwickelte sich der Orgelbau sogar ausschließlich werkstätten- und regionalbezogen. Eine einheitliche „Schule“, wie etwa in Italien oder dem Elsaß konnte hier gar nicht entstehen, weil es weder einheitliche Völker, Geschichte noch Mentalität gab. Wenn man jedoch bedenkt, daß die beiden Dynastien der Mauracher über 6 Generationen, die Egedacher drei Generationen, Werkstätten wie Ignaz Gatto, Hencke oder Gottfried Sonnholzer natürlich gewisse Bauweisen „in Schule brachten“, wird das Thema um den altösterreichischen Orgelbau schon besser erkennbar. So gibt es durchaus Gemeinsamkeiten der Instrumente des „alten Tarockaniens“.

Betrachtet man den norddeutsche Orgelbau mit den Instrumenten eines Arp Schnitger, aber auch den romantischen Nachfolgern wie Walcker & Cie oder Sauer und Sohn, sowie den „Orgelreformern“ Kemptner oder Ahrend, wird das vorhergesagte verständlich. Diese Instrumente zeichnen sich durch einen sehr farbigen, trockenen und manchmal etwas harten, sogar gläsernen Ton aus.
Weiters bietet auch das Elsaß mit seinen ausgewogen klingenden Silbermann - Orgeln, aber auch ihrer nachfolgenden Werkstätten wie Daniel Kern eine interessante Orgellandschaft. Gleiches gilt auch für das Allgäu mit den klangreichen Instrumenten von Riepp oder Gabler, aber auch ihrem geistigen Erben Riegner & Friedrich. Man könnte die Reihe fortsetzen. In fast allen Regionen Europas haben sich – manchmal auch von begeistertem Lokalpatriotismus getragen – Bewegungen etabliert, die die regionalen historischen Orgelformen wiederentdeckt und belebt haben.
Sieht man sich jedoch in unserem, in fast allen Kunst und Kulturformen besonders reichem Kulturraum um, findet man kaum mehr das vor, was man eine natürlich entwickelte Orgellandschaft nennen könnte.

Die Entwicklung:

Ein blühender regionaler Orgelbau erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen Musikern und Instrumentenbauern. Das bedingt freilich eine gute Gesprächskultur. In der Vergangenheit haben einige Orgelbauer in Österreich diese Gesprächskultur nicht im erforderlichem Maß gepflegt. So sind unzählige Dokumente einsehbar, in denen Kammerfunktionärs- und Handwerksdenken ein fruchtbares Gespräch zwischen den Betroffenen oft schon im Ansatz blockierte (Briefwechsel 1. Restaurierung Aigen-Schlägl). Forderte ein Musiker ein nach neuesten Erkenntnissen gebautes Instrument von einem Meister, der bis dato eher mehr handwerklich orientierte Orgeln gebaut hatte, wurde er mit Hinweisen wie „des hat scho mei Großvota so gmacht, des tuat leicht.“ zurückgewiesen.
Man muß leider zugeben, daß unter diesen Umständen die Zusammenarbeit mit ausländischen Werkstätten manchmal nicht zu umgehen war. Und viele österreichische Orgelbauer hatten als einzige Antwort darauf den Versuch, diese Entwicklung über Interventionen der Handelskammer zu stoppen, anstatt sich die gefragten Techniken und Hintergründe zu erarbeiten.
Zusätzlich kam vor allem nach 1960 noch eine gewisse Bestechlichkeit einzelner Orgel – Hochschullehrer vor, die manche Werkstätten von Aufträgen von vornherein ausschloß und kapitalstarke zahlungswillige Unternehmen nach vorne brachte. Oft spielte auch nur der persönliche klangliche Geschmack der betreffenden Orgellehrer die entscheidende Rolle, welcher Meister leben und welcher zugrunde gehen mußte. Da bestimmten oft nur ein, zwei Professoren über ganze Bundesländer mit ihren persönlichen Vorlieben, und das mitunter sogar noch im Namen der Kirche.
So finden wir heute eine bunte Sammlung von importierten Instrumenten aller Stile und Schulen kreuz und quer verteilt über das ganze Land, ergänzt durch Kopien von solchen Instrumenten durch einheimische Meister, die sich auf „norddeutsch“ oder „französisch“ versuchten. Dabei kommt es schon vor, daß eine österreichische „französische Barockorgel“ so französisch klingt, wie ein Österreicher, wenn er französelt. Es gibt aber auch viele einzelne sehr gute Instrumente einheimischer Meister, jedoch wiederum aus ganz Österreich zusammen gesammelt, so daß sich auch hier kein Landesbezug mehr ergibt.
So bauen Salzburger in Wien, Niederösterreicher in der Steiermark, Tiroler in Salzburg, Schweizer und Deutsche im ganzen Westen, Slowenen in Burgenland und Steiermark, aber nur mehr selten und sehr vereinzelt werden Instrumente durch ortsansässige Meister gebaut, von denen manche auch kaum mehr Bezug zum eigenen alten Orgelbau haben.
Gelingt es nicht bald, diesen in dieser Intensität besonders in Salzburg auftretenden pseudoglobalen Trend umzukehren, werden wir nicht nur ein sehr wichtiges und historisch bedeutsames Stück unserer musikalischen Identität unwiederbringlich zerstört haben, sondern auch an dessen Stelle eine quasi globalisierte Orgellandschaft ohne irgendwelchen Bezug zu Land, Kultur oder Bewohnern angesammelt haben.

Altösterreichischer Orgelbau – eine vergessene Orgellandschaft?


Fragt man verschiedene Orgelbauer, aber auch manchen Orgelfreund, nach dem Wesen und Wert der altösterreichischen Orgel, bekommt man immer noch oft die Auskunft, daß unser heimischer Orgelbau - abgesehen von wenigen barocken Meistern - im Grunde eher unkünstlerisch sei. Er habe, besonders nach 1860, mehrheitlich nur Gebrauchsinstrumente hervorgebracht.
Wie konnte so eine Beurteilung entstehen? Waren die nachbarocken wirklich minder wertvolle Instrumente? Welche Umstände haben in unserem Raum die Entwicklung der Orgeln geprägt?
Eine große Rolle spielte die Entwicklung der Liturgie, die seit dem Barock immer mehr in den Vordergrund gestellt wurde und der Orgel eine begleitende und untergeordnete Rolle zuwies.
Weiters wurde die Kirchenmusik mit Chor und Orchester stärker betont als in anderen Ländern. Gegenüber einem kleinen Streichorchester empfand man im Laufe des 19. Jhdts. eine Chorbegleitung „nur“ durch die Orgel als ärmliche Lösung.
Eine weitere Erklärung kann man in jener Tatsache finden, daß die historische österreichische Orgel als Kind des italienischen Orgelbaues auch einen wesentlich kleineren Pedaltonumfang als ihre großen nördlichen Schwestern hatte.
Aus den vorgenannten Gründen war daher auch die Kompositionstätigkeit für die Orgel recht karg. Es wurde mehr die freie Improvisation gepflegt, die sich besser „sekundengenau“ in die liturgische Handlung einfügen ließ. Trotz bedeutender Orgelkompositionen von Muffat, Pachelbel, Froberger und vieler anderer, findet man im süddeutschen und österreichischen Raum kaum Meister wie Bach oder Buxtehude.
Das alles wirkte sich formend aus. Außerdem benötigte man für die vielen kleineren Pfarren und Kirchen ohnehin keine großen Instrumente und investierte leider auch nur die allernötigste Pflege!
Die Folge war, daß die Instrumente immer mehr verfielen, ihr einstmals guter Klang durch lieblose Nacharbeit wenig motivierter Orgelbauer grob und unschön wurde und die mechanischen Teile litten.
Mitte des 19. Jhdts. hatten einige Orgelbauer (Louis Mooser, Matthäus Mauracher d. J.) begonnen - parallel zur Gesamtentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft in der fortschreitenden Industrialisierung – ihre Werkstätten zu großen „Orgelbauanstalten“, später auch Aktiengesellschaften umzuwandeln. In dem Maß, in dem ihre Fabriken wuchsen, sank jedoch auch das künstlerische Niveau ihrer Produkte.
In Österreich befanden sich unter anderem die Salzburger „Cäcilia AG“, die „Orgelbauanstalt Gebrüder Mauracher - Linz“ , Orgelbau Franz Reinisch sowie im Osten Orgelbau Joh. Kauffmann und Gebr. Rieger – Jägerndorf. Besonders bei der „Cäcilia“ war noch ein schlimmes Phänomen der neueren Zeit zu beobachten: der Aufsichtsratsvorsitzende der AG war gleichzeitig der Sachverständige der Erzdiözese und damit indirekt auch Auftraggeber. Da die Orgelfabriken fast ausnahmslos nur an Neubauten ihrer jeweiligen „Patent - Systeme“ interessiert waren, manche Pfarren jedoch nicht das Geld für den Kauf einer „Cäcilia“, „Gebrüder Mauracher“ oder „Rieger Opus XXXX“ hatten, wurden diese Instrumente von den zur Reparatur entsandten Arbeitern dieser Fabriken oft nachlässig, manchmal sogar böswillig „kaputtrepariert“ (vgl. Dokumente um den Neubau der Orgel der Pfarre Etzen – NÖ sowie Wien - Grinzing). Der Pfarrer sollte endlich einsehen, daß sein veralteter Kasten durch ein schönes neues Instrument modernster Technik ersetzt werden mußte!
Mitte des 20. Jhdt. kam jedoch auch für die Orgelfabriken durch die Reformen der aus dem Elsaß sowie Norddeutschland kommenden Orgelreformbewegung das Aus. Zurück blieben viele, oft recht langweilig und unverbindlich tönenden Fabriksorgeln sowie lieblos gewartete ältere Instrumente, aber auch jene Fabriks – Werkmeister der zu Grunde gegangenen Orgelbau - Großanstalten, die nun eigene Werkstätten gründeten und Bauformen und Arbeitsmethoden der Fabriken im Kleinen weiterführten. Das verloren gegangene Wissen über unseren historischen Orgelbau vermißten sie nicht, hatten sie doch zwei Generationen hindurch gelernt, daß nur „das Neue“ gut sei, das Alte hingegen sowieso überholt und minderwertig. Eben dadurch waren ja auch die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zum Erhalt der alten Orgeln verloren gegangen.
So hatten unsere Organisten mehrere Probleme: daß die historischen Instrumente vor der Epoche des Fabriksorgelbaues wegen liebloser Reparaturversuche weder gut funktionierten noch klangen, noch vom Tonumfang her für die überwiegend unterrichtete „große“ Literatur geeignet waren. Weiters hielten die heimischen Orgelbauer zähe und uneinsichtig bis Anfang der 1970er Jahre an pneumatischen oder elektropneumatischen Registerkanzellen – Systemen, intoniert in eher nur handwerklichem Berufsverständnis fest. (Dreher & Reinisch, Mariapfarr 1957, Kauffmann – Wien Sühnekirche 1965 u.v.a.). Man ging sogar soweit, die Musiker mit Hilfe von Interventionen der Handelskammer zur Akzeptanz des Gewohntem zwingen zu wollen (siehe Akten des Bundesdenkmalamtes über die Restaurierung der Stiftsorgel in Aigen - Schlägl)!
Mangels einheimischer Alternativen hielten sich die Organisten daher an Anbieter aus Ländern, in denen die Orgeltradition entweder lebendiger geblieben war oder die Orgelreformbewegung schon Erfolge zu verzeichnen gehabt hatte und die daher in der Lage waren, adäquate Instrumente zu schaffen. So wurden im günstigeren Fall oft recht schöne Stilorgeln fremder Klanglandschaften nach Österreich importiert (Marcussen in Millstatt und Linz), manchmal aber auch durch österreichische Orgelbauer Stilkopien gebaut (Walcker in Seckau, Riedl in Laakirchen, Hradetzky in Wien - Mozartsaal), über deren angeblich authentischen „Barockklang“ sich der Leser ein eigenes Bild machen kann. Anstelle einer gewachsenen Orgellandschaft trat immer mehr ein Fleckerlteppich verschiedener unzusammenhängender Klangtypen, eine traurige Folge eines hundert Jahre lang verfallenden Kunsthandwerkes.
1987 hatte ich während meiner Studienzeit als a. o. Student am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Salzburg die Idee, diese Problematik ein wenig zu hinterfragen. Es gelang mir, den damaligen Salzburger Landeshauptmann und Hobbyorganisten Dr. Wilfried Haslauer für einen Forschungsauftrag zu gewinnen. Die Leitung dieses Projektes wurde Dr. Gerhard Walterskirchen übertragen, der in seiner Dissertation bereits die Lebensläufe und Werklisten der salzburgischen Orgelbauer aufgearbeitet hatte. Im Zuge dieser Arbeit konnte ich neu Einblicke in die Bauweise der alten Meister gewinnen.

Die Bauunterschiede


Die im Folgenden beschriebenen klassischen Baumerkmale typischer, durchschnittlich mittelgroßer Orgeln gelten nicht für Orgeln aus nachromantischer oder fabriksmäßiger Fertigung. Gegen Ende des 19. Jhdts. verflachten regionale Charakteristika in ganz Europa bis zur Unterschiedslosigkeit! Trotzdem haben sich - speziell im Gebirge, aber auch im Norden Deutschlands und in Holland - einzelne Meister bis zur Jahrhundertwende regional typische Baumerkmale bewahrt.
Wenn im Folgenden nun öfters vom altösterreichischem Raum zu lesen sein wird, ist damit natürlich nicht nur der Bereich des heutigen Österreich gemeint, sondern der Raum der alten Donaumonarchie und weiter noch bis tief nach Bayern hinein.

Das Orgelgehäuse:

Ein Hauptmerkmal jeder Orgel, schon beim ersten Blick auf das Instrument, ist die Anordnung der verschiedenen Manualwerke. Um einen einfachen Vergleich der verschiedenen Formen zu ermöglichen, sei für die jeweilige Region eine typische, allgemein verwendete Bauform einer mittelgroßen Orgel beschrieben:
        So ist etwa für die nordische Orgel, die oft sogar dreimanualig angelegt ist, die Anordnung des Pedals auf tiefem Niveau beidseitig der Manualwerke (Stift Millstatt und Linz-Mariendom von Marcussen) unverwechselbar. Außer dem Hauptwerk besitzt sie entweder ein Oberwerk, das, wie schon der Name sagt, über dem Hauptwerk angeordnet ist, oder ein Rückpositiv. Als drittes Manual befindet sich direkt in Kopfhöhe des Organisten ein sog. Brustwerk. Diese Anordnung nennt man auch den „Hamburger Prospekt“.
        Der direkte Gegensatz dazu ist die meist einmanualige italienische Orgel, bei der, wenn sie überhaupt ein zweites Manual besitzt, dieses entweder als Nebenwerk im Untergehäuse sitzt, oder aber bei jüngeren Instrumenten hinter dem Hauptwerk angeordnet ist. Ein eigenes Pedalwerk, wenn überhaupt vorhanden, befindet sich freistehend hinter den Manualwerken. Die Gehäuse sind monolithisch und auf Werkstrennung (z.B. Oberwerk o.ä.) gar nicht ausgelegt.
        Die süddeutsch – österreichische Orgel steht nicht nur geographisch dem Süden näher als dem Norden. Üblicherweise zweimanualig, sind übereinander angeordnete Werke hier nur sehr selten zu finden, ein Rückpositiv ist jedoch ab der Renaissance bis ins Biedermeier oft vorhanden. Bei jüngeren Orgeln ab etwa 1840 findet man das zweite Manual auch häufig hinter dem Hauptwerk eingebaut. Bei Doppelgehäusen beidseitig von Mittelfenstern steht das zweite Manual auch manchmal auf der Gegenseite. Das Pedalwerk steht fast ausnahmslos hinter den Manualwerken, meist freistehend ohne Gehäuse.

Disposition und Pfeifenwerk:

Engchor: Ein besonderer Unterschied der süddeutsch - österreichischen Orgel zu allen anderen ist die auffällig frühe und vielfache Verwendung der meisten heute bekannten Streicher (vgl. Dispositionen von Sonnholzer 1732 in Melk, A. Pfliegler 1773 in Altenburg, Sieber 1714 St. Michael - Wien, Egedacher 1703 Salzburger Dom). Im nordischen Orgelbau sind Streicher ein extrem seltenes Kuriosum! (z. B. Hamburg St. Jakobi: Viola da Gamba, nach oben konisch erweiternd, leicht reduzierte Fußlöcher!).
Die Principalpyramiden sind üblicherweise überall komplett ausgebaut. Jedoch finden sich in der Mensuration leichte Abweichungen: Die nordischen Principale sind etwas enger angelegt als die süddeutsch – österreichischen oder die noch ein wenig weiteren italienischen „principali“. In diesem Bereich darf man allerdings zahlreiche Ausnahmen, vor allem bei größeren Instrumenten in Norddeutschland nicht übersehen (vgl. Mensuren Scherer/Schnitger in St. Jakobi/Hamburg)! Auch fallen in unserem Raum viele erstaunlich eng angelegte Principale auf (vgl. Woeckherl Franziskanerkirche Wien)
Bei der Untersuchung altösterreichischer Mensuren fällt auf, daß manche Mensuren nicht nach bestimmten Beugewertkurven angelegt waren, sondern sehr individuell nach Stimmführungs - Aufgabe des jeweiligen Registers (Copel 8‘ Hallein – Bürgerspital). Dabei entstanden oft spezielle Mensurverläufe, die man in anderen Ländern in dieser Form selten findet! Sogar die von Töpfer 1860 entwickelte Konstantmensur wurde z. B. bereits von Joh. Chr. Egedacher um 1700 für Aliquotregister verwendet (Quinte 2 2/3‘ St. Kajetan/Sbg.)!
Bei den Flötenregistern sind die Abweichungen weniger ausgeprägt, wenn man von der eher im Norden vorkommenden Bauweise der zugelöteten Gedecktpfeifen mit Stimmbärten absieht, sowie von extrem weiten Rohrflöten.
Die Mixturen bieten größere Abweichungen. Die nordische Mixtur ist auch bei mittleren Instrumenten oft bis 8-chörig und als reine Quint-octav-mixtur mit vielen Doppelchören angelegt, in den Rückpositiven sowie den für den nordischen Orgelbau so typischen Brustwerken finden sich ebenfalls größere Mixturen. Diese Mixturen repetieren fast immer auf jeder Oktav, manchmal sogar zusätzlich auf jeder Quinte!
Die süddeutsch-österreichische Hauptwerksmixtur ist meist 3 bis 5 -chörig, besitzt mitunter auch einen Terzchor und repetiert erstmals oft erst nach 1 ½ bis 2 ½ Octaven, im weiteren Verlauf dann auf den Oktaven, nur sehr selten auch öfter. Doppelchöre baut man hier nur bis zum Hochbarock. Im Rückpositiv oder Nebenwerk finden sich üblicherweise feinere, manchmal sogar nur zweifache Mixturen oder Cymbeln (Wien – Minoritenkirche), die jede Octave repetieren.
Im italienischen Raum sind Mixturen überhaupt erst ab Mitte des 19. Jhdt. üblich. Die klassische italienische Orgel besitzt hohe Oktav- und Quintregister, die nach Bedarf mixturartig zusammengestellt werden.
Zungenstimmen besitzt die nordische bis mitteldeutsche Orgel in allen Werken vor allem in Form von Trompetenchören, ergänzt durch verschiedene Solostimmen. Bei der altösterreichischen Orgel beschränkte sich die Disposition von Zungen oft auf eine Solozunge im 2. Manual sowie Pedalposaunen oder Fagotte (Eißl 1780 Gurker Domorgel, Peuerl 1734 Stift Wilhering, Egedacher 1732 Stift Zwettl). Bei aufwändigeren Stifts- oder Domorgeln gab es aber auch Ausnahmen. (A. Putz 1634 in Aigen - Schlägl, Egedacher 1703 unter Beratung von Silbermann im Salzburger Dom, Chrismann 1774 St. Florian) . Da originale Zungenstimmen in unserem Raum aus der Zeit bis 1850 fast alle zerstört worden sind, sei als seltenes Beispiel auf die noch vorhandene Posaune 8‘ im Pedalwerk der Gurker Domorgel verwiesen : Rechteckige Holznüsse, auffällig weite Holzkehlen mit breiten Zungenblättern in nach unten verjüngender Form, vergleichbar einer menschlichen Zunge, Stimmkrücke mit Schraubgewinde (!), konische Holzbecher in Tonlänge. Allerdings wurde in unserem Raum bei mittleren Orgeln nur sehr selten im Hauptwerk eine Trompete 8‘ disponiert. Meistens wählte man nur im Pedal eine oder zwei Posaunen oder Bombarden.
Im alten italienischen Orgelbau sind Zungenstimmen äußerst selten! Erst ab Mitte des 18. Jhdts. werden einzelne „trombocini“ gebaut. (vgl. Venedig S.Maria Gl. die Frari, Gaetano Callido 1795)

Die Intonation:

Im Bereich der Intonation fallen in der nordischen Orgel die feineren Kernspalten (jedoch bei nicht ganz so eng wie im „Neubarock“ !) und der höhere Winddruck um 80 mm auf, welches einen trockenen Klang bei sehr schneller Tonansprache bewirkt, während in Italien die Kernspalten eher weit sind, der Winddruck zwischen 45 und 60 mm liegt und der Klang sehr weich und auffällig tragend ist. Die Tonansprache ist eher langsam, manchmal ein wenig seufzend. In unserem Raum finden wir ebenfalls weitere Kernspalten, der Winddruck liegt zwischen 60 bis 75 mm, der Ton ist eher ruhig und ein wenig singend bei mittelschneller Ansprache. Ab zweitem Drittel des 19. Jhdts wird der Ton kraftvoller, manchmal auch etwas grob.
Wie schon vorher erwähnt, stellen die Streicher eine Besonderheit des süddeutsch-österreichischen Orgelbaues dar: Die alten Meister intonierten auch diese Register weitgehend auf dem vollen Wind oder mit leicht reduzierten Fußlöchern, was zu sehr interessanten und faszinierenden Klängen führte. Die Ansprache wurde stark überzogen, so daß die Töne mit extrem seufzenden Ansätzen eher langsam kommen. Gerade diese Register, richtig eingesetzt und verwendet, haben einen ganz besonderen und charakteristischen Reiz unserer Orgellandschaft! (vgl. Maihingen bei Augsburg Gamba 8‘, Wien-Grinzing Gamba 8‘, Werfenweng Gamba 8‘,)
Ab der Mitte des 19. Jhdts. wurde die Ansprache immer mehr zurückgenommen, bis sie in den expressionistischen Instrumenten dank raffiniertester Klangzügel oder Rollbärte vollständig unterdrückbar wurde.
Die seit den Ursprüngen des Orgelbaues in allen Orgellandschaften gepflegte sogenannte Kernspalten- oder Vollwindintonation, von der man annahm, daß diese ab Beginn des 19. Jhdts. zugunsten der Fußlochintonation aufgegeben wurde, wurde von einzelnen Orgelbauern bis Ende des 19. Jhdts. verwendet (vgl. Louis Mooser in St. Gertrauden 1847, Alois Hörbiger in Grinzing 1858, Matthäus Mauracher in Mauterndorf 1868, Albert Mauracher in Tweng 1885).
Bezüglich der Stimmung orientierte man sich speziell in ländlichen Gebieten vom hohen Norden bis Mitteldeutschland sowie in Italien bis ins 19. Jhdt. an der Mitteltönigkeit. Sogar Joh. Seb. Bach ärgerte sich bekanntlich über diese Stimmpraxis. Für die Musik eines Frescobaldi oder Gabrieli war diese Stimmung klanglich sehr wichtig, ähnlich wie bei Buxtehude, Lübeck, Böhm oder vergleichbaren Komponisten. Im österreichisch-bayrischen Raum war jedoch aufgrund der orchestralen Kirchenmusik eine solche Stimmung schlecht verwendbar. So setzten sich (nach Widensky) bereits ab Beginn des 18. Jhdts. verschiedene Stimmungen auf Basis reiner Quinten, ja sogar fast gleichschwebende gegen terzenreine Temperaturen durch. In der Provinz finden sich jedoch heute noch Hinweise auf ältere Temperaturen. So konnte ich bei Carl Mauracher eine Temperatur ähnlich Werckmeister III feststellen und rekonstruieren (Hallein – Bürgerspital 1837).

Materialien:

Da die Orgelbauer gerne jene Hölzer verwendeten, die ihnen in der Umgebung zur Verfügung standen, ergibt sich bereits die bevorzugte Verwendung von Laubhölzern in den flacheren Gebieten, sowie die von Nadelhölzern in den Gebirgsgegenden. In manchen Tieflandregionen wie Norddeutschland oder Holland wurde oft fast das gesamte Instrument aus Eiche gebaut, in Gebirgsregionen wurde speziell für die Orgelgehäuse, aber auch für Pfeifen sehr gerne Tanne und Fichte verwendet. In manchen Gebirgsregionen, in denen keine Eiche gedeiht, verwendete man Ahorn. Eine Besonderheit des Orgelbaues im mittleren Raum ist auch die Kombination von verschiedenen Hölzern bei einer Pfeife: So wird meistens die komplette Pfeife im Baß aus Weichholz mit eingesetzten Hartholzlabien, in der Mittellage mit kompletter Hartholz- Vorderfront, im Diskant die ganze Pfeife aus Hartholz gefertigt!
Man darf nun nicht in den Fehler verfallen, nur Harthölzer als hochwertig zu akzeptieren! Oder ist irgend jemandem eine Violine, Gitarre oder ein Klavier mit Hartholz – Resonanzboden bekannt ? Jedoch formt die Fichte einen zarteren Ton als Eiche oder Ahorn.
Bei den Metallen für die Pfeifen finden sich wenig regional spezifische Unterschiede. So findet man in San Petronio – Bologna bei den beiden historischen Orgeln in der Renaissanceorgel Bleipfeifen, bei der spätgotischen jedoch hochprozentiges Zinn. Bei Schnitger oder Scherer im Norden finden sich ebenfalls verschiedene Legierungen. In unserem Raum gibt es allerdings eine Reihe von Meistern, die das Metall der verschiedenen Register nicht differenzierten! So verwendet etwa Albert Mauracher in Jeging - OÖ 63,5%ige, Louis Mooser in Werfenweng wie auch Matthäus Mauracher in Flachau 80%ige Zinnlegierung für das gesamte Pfeifenwerk. Auch die Gußmethode (Tuch oder Sand) ist eher von der Epoche abhängig. Nachrichten über gehämmertes Metall finden wir fast überall (z.B. Engels in Schlesien, nach Mertin), jedoch kam diese Verarbeitungsform Mitte des 18. Jhdts. fast überall außer Gebrauch.

Klangwelten:

In diesem Bereich ist wohl der größte Unterschied zu finden. Die unterschiedlichen Bauweisen wirken sich klangformend aus, zusammen mit der Intonation der verschiedenen Meister, welche wiederum von der regional unterschiedlichen Mentalität beeinflußt sind.
So finden wir im Norden einen eher trockenen, doch sehr kraftvollen Klang bei Principalen und Flöten, während die Mixturen fast ein wenig klirrend und sehr hart klingen. Die Zungenstimmen besitzen einen trockenen, bei tiefen Registern oft grollenden Ton.
Im mitteldeutschen Raum klingen die Principale und Flöten milder, die Mixturen leuchtend, jedoch selten klirrend, die Zungenstimmen voll, manchmal ein wenig dröhnend.
Im altösterreichischen Raum ist der Ton noch ein wenig milder als im mitteldeutschen Raum, wozu auch die beliebte Disposition mehrerer Streicher beiträgt. Auch die häufige Verwendung von Weichholz bis an die 1/2- Fußlage trägt sehr zu diesem charakteristischen Klang bei. Die Mixturen besitzen eher glitzernden bis leuchtenden Klang, klirrende Mixturen gibt es nicht einmal als Ausnahme! Die wenigen original erhaltenen Zungenstimmen bieten einen eher trockenen und obertonreichen Klang, jedoch manchmal auch sehr stark (Posaune 16‘ Klosterneuburg).
In Italien besitzen die Orgeln einen sehr feinen und weichen Ton, die Principale klingen singend und weich, jedoch sehr tragfähig, die Flöten erinnern oft ein wenig an ein Blockflötenkonsort. Die hochliegenden Aliquotchöre sind als Mixtur verwendet mitunter fast ein wenig schrill – eine Folge der repetitionsarmen Bauweise.
Ab der Mitte des 19. Jhdts. werden in allen Räumen die Principale deutlich kräftiger, verlieren jedoch manchmal auch an Obertönen, die Streicher gewinnen an Schärfe, die Mixturen werden gröber, manchmal bis an die Grenze der Erträglichkeit, die Zungenstimmen werden lauter, manchmal dröhnend.

Die Problematik der altösterreichischen Orgel:


Als Maßstab einer neuen Orgel muß heute sicherlich die Musik Johann Sebastian Bachs gelten. Aber auch Kompositionen von Mendelssohn über Reger bis zu Zeitgenossen sollten, je nach Orgelgröße mehr oder weniger, auf einer zeitgenössischen Orgel spielbar sein.
Es macht daher, von jenen Ausnahmen abgesehen, bei denen dezidiert eine entsprechende Stilorgel verlangt wird, wenig Sinn, etwa den Tonumfang des altösterreichischen Pedals von 12 bis 18 Tönen zu bauen. Auch der Manualumfang von 45 Tönen ist aus dieser Sicht einfach zu beschränkt.
Nun mag mancher Jünger der „Orgelbewegung“ jedoch einwenden, daß das alles die barocke bis klassische Tradition betreffen möge, was ist aber nun etwa mit den alten Orgeln Mooser oder Mauracher aus der Zeit des Biedermeier und Nachmärz, die doch lange nicht so wertvoll wären, wie die erhaltenen barocken Instrumente?
Hier muß man einem leider manchmal sogar von Experten vertretenem Irrtum widersprechen: die kunsthandwerkliche Tradition des Orgelbaues endete NICHT mit Beginn des 19. Jhdts.! Wenn man gut restaurierte (!) Orgeln aus kunsthandwerklicher Fertigung (nicht Fabriksfertigung!) bis ca. 1900 untersucht und spielt, wird man oft staunen, welche Qualität und Klangschönheit da zu hören ist! Es hat auch noch nach 1900 einzelne Werkstätten gegeben, die ihre Orgeln auf hohem künstlerischem Niveau erbauten. Leider haben viele Jünger der „Orgelreform“ auch viele dieser Instrumente aufgrund ihres schlechten Zustandes, ihrer bescheidenen Größe, aber auch wegen prinzipieller Vorurteile nicht erkannt. Erst jetzt, wo schon das meiste zerstört wurde, lernt man nicht nur den Wert der Instrumente Moosers, Carl und Matthäus Maurachers d.Ä., Uhlmanns und vergleichbarer Meister wieder zu schätzen, sondern auch spätere expressionistische Werke von Walcker & Cie., Breinbauer, Marcel Kauffmann, Capek und mancher anderer!
Allerdings haben die expressionistischen Orgeln nichts mehr von der altösterreichischen Tradition. Ab der Jahrhundertwende internationalisierte sich der Orgelbau in beinahe ganz Europa schon aufgrund der einheitlichen Verwendung der töpferschen Normalmensur. Man kann also argumentieren, daß mit dieser Zeit der regional besondere Orgelbau europaweit sein Ende gefunden hat.

Die Umsetzung für den heutigen Orgelbau


Woran liegen aber nun die weiterhin pflegbaren Besonderheiten dieser Orgel?

Diese liegen in Aufbau, Disposition, Mensuration und Intonation. Die Anpassung der Mensurkurve an besondere Aufgaben, etwa eines Gedeckt 8‘ für Basso continuo - Verwendung ist nicht nur für diesen Einsatzzweck sinnvoll, sondern prägt auch den Charakter der Orgel mit! So wird dieses Gedeckt bei Begleitung von Instrumenten oder Sängern durch seine im Baß erweiterte Mensur ein ungleich besseres Fundament bieten, als ein kontinuierlich changierendes Register. Bei Sololiteratur wird dieses Register dem Klang im Baß mehr Fülle verleihen.
Die etwas weiter mensurierten Principale nehmen dem Pleno jene nordische Trockenheit, die ja auch nicht der südlichen Mentalität entspricht. Diese im Klang etwas weicheren und fülligeren Principale erklären auch die ergänzende Bedeutung der Streicher, welche die Klangmöglichkeiten der Orgel dadurch im piano bis mezzoforte noch reicher machen, als es die Instrumente des Nordens oder Südens vermögen.
Kein Problem dürfte der äußere und innere Aufbau sein – werden doch aus architektonischen Gründen (Westfenster!) seit einiger Zeit sogar im nordischen Raum bei Orgeln auf der Westempore die südlichen Gehäuseformen dem typisch nordischen Prospekt vorgezogen.
Aber der süddeutsch – österreichischen Orgel fehlen doch die Zungenstimmen!

Jede Orgellandschaft hat sich durch die Zeiten weiterentwickelt, und auch unsere Orgel ist diesem Wandel unterworfen. Daher ist es keine Frage, daß diese Registerfamilie auch in unserer Orgel notwendig geworden ist. Wovon abzuraten wäre, ist das „hineinkopieren“ von Zungenstimmen aus Orgellandschaften, die mit unserer weniger harmonieren. Mitteldeutsche, aber auch elsässische– französischen Richtungen passen jedoch sehr gut! So hat sogar schon Joh. Chr. Egedacher vor dem Bau der Zungenstimmen der großen Salzburger Domorgel 1718 intensive Kontakte mit Silbermann gepflogen. Vor allem sollte man aber versuchen, die Bauweise der altösterreichischen Zungenstimmen wieder zu beleben.
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